Golden Week (W6)

In Japan fallen anfangs Mai mehrere Feiertage in dieselbe Woche, weshalb praktisch alle Japaner in dieser einen Woche Ferien nehmen und verreisen - mit anderen Worten: Golden Week ist Ferienzeit. Wenn alle gleichzeitig in die Ferien fahren, kann man sich denken, dass es schwierig ist, freie Hotelbetten und Zugsitze zu finden. Im Idealfall bucht man deutlich im Vorhinein und geht auf Nummer sicher.

Diesen Luxus hatte ich natürlich nicht, denn noch wenige Wochen zuvor sah es aus, als studiere ich in Zürich weiter. Sehr spontan ging ich also meine Optionen durch. Da ich freitags kein Unterricht habe, hatte ich mit dem Zeitraum von 29.04.-08.05. mehr als eine Woche zur Verfügung. Natürlich war das sehr in den Universitätsalltag eingequetscht, doch im Prinzip war es meine einzige Chance, länger zu verreisen. Das Semester dauert bis Mitte August, dann müssen wir unser Zimmer putzen und abgeben und werden dann Ende Monat auch schon aus dem Land geworfen. Obwohl anstrengend und reingequetscht und teuer, war Golden Week also eine der wenigen Reisemöglichkeiten. Also galt es, diese zu nutzen. Das Reiseziel sehr schnell fest: Ich wollte schon 2018 nach Matsue in der Shimane-Präfektur, konnte damals aber nicht verreisen, weil die Überschwemmungen die Zugslinien unterbrochen hatten. Dieses Mal wollte ich nicht bis zur Regen- oder Taifunsaison warten, damit wieder nichts daraus wird. Und wenn ich schon den langen Reiseweg mit Zug auf mich nehme (Fliegen kam nicht in Frage!), dann konnte ich auch gleich eine Weile dort oben bleiben. Also buchte ich nicht nur eine Unterkunft in Okayama (Zwischenstopp nach Matsue) und in Matsue, sondern auch in der Nachbarpräfektur Tottori, und dann, äusserst spontan, eine einzige Nacht in einem Ryokan in Kinosaki Onsen. Für die wichtigsten, längeren Zugfahrten reservierte ich Tickets und Sitzplätze ebenfalls im Voraus.

 

Mit einem sehr regnerischen Tag begann die Reise schliesslich und ich fuhr früh nach Shin-Osaka, um mit dem Lokalzug die Reise anzutreten. Als ich allerdings die Horden an reisenden Japanern am Bahnhof sah, beschloss ich spontan, ein Shinkansen-Ticket zu kaufen. Der Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug ist zwar deutlich teurer (60Fr. statt 30Fr.), dafür aber auch viel schneller, und ein reservierter Sitzplatz für eine Stunde war deutlich angenehmer, als eine Sardinenbüchse für drei Stunden. Erstaunlicherweise hatte es sogar am Reisetag noch ein paar Tickets übrig und so war ich nur eine Stunde später bereits in Okayama und startete meine Erkundungen. Nach diesem Zwischenstopp ging es dann am nächsten Tag nordwärts durch das Hügelland Richtung Matsue. Es war äusserst faszinierend, von der belebten Küste wegzukommen, die ich schon ausführlich bereist hatte, und durch ein Gebiet zu fahren, das nur spärlich besiedelt war. Diese Seite von Japan sah ich bisher noch wenig, und so verbrachte ich zweieinhalb Stunden damit, aus dem Fenster zu blicken und dem Wandel der Umgebung zuzuschauen. Überhaupt fuhr ich in der Golden Week sehr viele Stunden Zug und es wurde nie langweilig.

 

Ich blieb ein paar Tage in Matsue und erkundete die Gegend. In Matsue standen unter anderem das Altstadtviertel und die Burg Matsue auf dem Plan, deren Hauptturm 1611 erbaut wurde und erhalten ist - eine von nur fünf Burgen, die im Originalzustand erhalten sind. Mit Matsumoto, Himeji und Hikone sah ich somit vier der fünf Burgen und ich hoffe, Inuyama eines Tages ebenfalls noch sehen zu können.

In der Nähe von Matsue besuchte ich den Izumo Taisha, einer der ältesten Schreine Japans und neben dem Ise-Jingu der bedeutsamste. Es war faszinierend zu beobachten, wie wichtig der Schrein den Leuten war. Und anders als bei anderen Schreinen in Japan klatscht man hier nicht zweimal in die Hände, um den Kami anzurufen, sondern viermal - zweimal für sich selbst und zweimal für seinen (zukünftigen) Partner. Dies, weil der Schrein besonders beliebt bei Paaren ist oder Leuten, die ihre Liebe des Lebens suchen. Gemäss den Geschichten versammeln sich alle Kami Japans einmal im Jahr im zehnten Monat in Izumo an der Küste, beratschlagen und verknüpfen die Schicksale der Menschen miteinander. 

Ein anderes Reiseziel in Reichweite war das Adachi Kunstmuseum mit seinem Garten. Es wird seit Jahren jährlich für seinen Garten, gemäss Künstler ein 'lebendes Bild', ausgezeichnet und tatsächlich war er besonders. Ich sass ganze zweieinhalb Stunden da und beobachtete, wie das Licht die Szene veränderte. Es gab so viel zu sehen, es wurde einfach nicht langweilig.

Am letzten Tag in Matsue ging es schliesslich sehr spontan zum Yuushien-Garten. Zu meiner grossen Freude wurde dieser von Menschen überrannt, weil die Pfingstrosen, für die der Garten bekannt ist, in voller Blüte standen. Das farbenfrohe Naturspektakel war eine glückliche Überraschung und im grossen Garten verteilte sich die Menge gut, so dass man die Blumen in aller Ruhe geniessen konnte. Ich konnte sogar an einer Abstimmung teilnehmen, bei der die schönste Pfingstrose ausgewählt wurde. Ein Brauch, der offenbar seit der Edozeit anhält. 

Nach Matsue gings weiter nach Tottori, von dessen Sanddünen ich viel gehört hatte. Als ich sie jedoch sah, musste ich für mich eingestehen, dass ich sie mir grösser vorgestellt hatte. Dennoch waren sie eindrücklich und ich genoss es, von einer der hohen Dünen aus auf die Wellen des Meeres herunterzublicken. Auch ein Powernap im Sand war willkommen und ein Spaziergang entlang der Wellen, während hinter mir die Leute wie Ameisen auf den Dünen herumstaksten. 

Die letzte Etappe meiner Reise war schliesslich Kinosaki Onsen. Ein Ort, für den ich mich ganz spontan noch entschieden hatte, weil ich den Namen irgendwo aufgeschrieben hatte. Es stellte sich als ein absolutes Juwel heraus und ich wünschte mir nun, länger dort gewesen zu sein. Der Kurort hat sieben öffentlich zugängliche Onsen und eine schöne Altstadt rund um einen zentralen Kanal. Das alleine wäre bereits genug gewesen, um hinzugehen. Da ich aber in letzter Minute gebucht hatte, hatte ich mich für eines der verbleibenden Zimmer in einem Ryokan, einem traditionellen japanischen Gasthaus, entschieden. Die Übernachtung war teuer, aber dafür erhielt ich gratis Shuttlefahrten von und zum Bahnhof, einen Onsenpass für alle Onsen im Kurort - und zwei Yukata zum Ausleihen. Einen für schön und einen für das Onsen-meguri, dem Wandern von Onsen zu Onsen. Mit dem Sonnenuntergang verwandelte sich das gemütliche Städtchen rund um den Kanal zu einer lauschigen Idylle, wo in Yukata gekleidete Paare und Einzelgänger entspannt von Onsen zu Onsen schlenderten, begleitet von dem Klackern der hölzernen Geta-Sandalen auf dem Steinpflaster. Die Atmosphäre war einzigartig und dieser Abend ist definitiv eine meiner schönsten Momente, die ich in Japan erleben durfte. 

 

Leider konnte ich natürlich nicht ewig dort bleiben, doch Kinosaki Onsen rundete die Reise gekonnt ab und so ging es frisch gebadet, entspannt und auch sehr erschöpft zurück nach Minoh. Beim Umsteigen in Osaka war die Menge an Leuten in Namba ein Schlag ins Gesicht. Erst in diesem Moment realisierte ich, wie sehr ich es genossen hatte, aus Minoh zu entkommen und in den kleineren Ortschaften an der nördlichen Honshu-Künste herumzuschlendern. Meine Befürchtungen von vollkommen überfüllten Zügen und Orten hatten sich nicht bewahrheitet - wohl, weil ich in verhältnismässig ländlichen Gegenden unterwegs war. Nun, samstagabends, zurück in Osaka, spürte ich deutlich, wie sehr ich die Ruhe geschätzt und gebraucht hatte. Was mir an meiner Reise am besten gefiel, ist schwer zu sagen, denn alle Orte waren auf ihre eigene Art einzigartig und wunderbar. Tottori gefiel mir am wenigsten, was nicht heisst, dass ich es nicht genoss. Besonders in Erinnerung bleiben werden mir aber sicherlich die Bootsfahrten durch die Kanäle der Matsue-Burg, die Atmosphäre rund um den Izumo-Taisha und die Blumenpracht des Yuushien. Gekrönt vom nächtlichen Spazieren und Onsen-meguri in Kinosaki Onsen.