Abwarten und Tee trinken (18.06.2018)


Früher als geplant und mit einem abenteuerlichen wenn auch etwas beunruhigendem Thema starte ich heute aus aktuellem Anlass meinen Blog. Nachdem ich bei meiner Reise nach Japan in Frankfurt um ein Haar den Anschlussflug verpasst hätte, weil der Flieger in Zürich eine Stunde verspätet war, der Koffer erst einen Tag nach mir ankam, ging das Abenteuer heute gleich weiter:

Infoscreen am Bahnhof nach dem Erdbeben
Infoscreen am Bahnhof nach dem Erdbeben

Wie einige von euch vielleicht durch die Medien mitbekommen haben, gab es heute morgen kurz vor 8 Uhr ein starkes Erdbeben mit Epizentrum nördlich von Osaka (Stärke 6). In Kobe westlich davon (Hyogo Präfektur) war das Erdbeben "nur" etwa eine 4-5. Aber auch hier schüttelte die Erde heftig und mein Gastfamilienbruder hat einen grossen Schreck gekriegt. Ich nicht. Denn: Erneut habe ich das Erdbeben schlicht überhört/verschlafen. Ich war zu dieser Zeit mit meinem zweiten Gastbruder unterwegs zur U-Bahn, um meinen ersten Sprachschultag anzutreten. Er sagte unterwegs noch, dass es heute aber stark windete (offenbar sah er Fensterläden rütteln). Ich erhielt derzeit eine Warnmeldung per SMS, konnte diese aber aufgrund der vielen Kanji (Schriftzeichen chinesischen Ursprungs) nicht lesen. Das war's. Wir kapierten beide nicht, was lief, und gingen zur U-Bahn-Station, wo die Züge standen und die Leute ebenfalls. Alle warteten. So auch wir. Eine Stunde verging und nichts passierte.

Warnmeldung auf dem Natel zur Zeit des Erdbebens
Warnmeldung auf dem Natel zur Zeit des Erdbebens

Als immer mehr JapanerInnen wieder den Bahnhof verliessen, entzifferte ich schliesslich auf dem Infoscreen und auch im SMS die Meldung, dass es ein Erdbeben gegeben hatte und deswegen die Gleise erst kontrolliert werden müssten. Wir waren immer noch im Irrglauben, dass es ein schwaches gewesen sein musste und warteten optimistisch noch etwas weiter, weil wir dachten, die Züge würden irgendwann ja dann schon wieder fahren. Die Nachricht der Gastmutter, wir sollten - falls möglich - wieder nach Hause kommen, holte uns nach Hause zurück. Dort wurden wir dann aufgeklärt: Das Erdbeben, das wir als heftigen Wind abgetan hatten, war das stärkste in der Region seit einer ganzen Weile gewesen. Schön und gut, damit ist die Sache wohl erledigt... oder?

 

Leider nicht, stellte sich heraus, denn wir müssen mit weiteren Beben rechnen. Wir setzten uns also im Erdgeschoss vor den Fernseher und schauten die Nachrichten. Mein Gastbruder und ich waren beide überrascht, wie heftig es in den Videos wackelte, und fragten uns, wie wir das hatten verpassen können. Nach und nach kamen dann neue Informationen und Bilder zu den Geschehnissen und von der Sprachschule die Meldung, dass die Schule heute ganz ausfällt (es fuhren den ganzen Tag auch praktisch keine Züge). Gemäss der japanischen Wetter-Agentur gab es mehrere Nachbeben, auch diese spürte ich allerdings nicht und sie waren sehr viel schwächer (vgl. Japan Meteorological Agency, 18.06.2018). 

 

Nach ein paar Stunden gingen wir dann doch ins Obergeschoss und nachdem ich für die Schule um halb sieben aufgestanden war, machte ich nach all der Aufregung ein Powernap. Eine Weile brauchte ich allerdings schon, bis ich einschlief, denn etwas mulmig ist einem in so einer Situation dann doch... Die Nachbeben an sich waren in Ordnung, doch da die, wenn auch geringe, Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Beben ein Vorbeben vor einem heftigeren war, fühlt man sich nicht mehr ganz sicher in seiner Haut. Hier hilft es wohl nur, sich ein Beispiel an den Japanern und die Sache gelassen zu nehmen. Immerhin hat Japan weltweit wohl am meisten Erfahrung mit Erdbeben und ist architektonisch, organisatorisch und emotional so gut darauf vorbereitet wie sonst kaum irgendwo. Man hält also den Rucksack mit Pass bereit und kümmert sich dann wieder um andere Dinge: Abwarten und Tee trinken trifft für einmal vollkommen zu.

 

News-Artikel zum Ereignis: Mainichi Shinbun (engl.), BBC News (engl.), NHK (japan.)