Alleine reisen, aber selten einsam


Zwischenbericht: Nach Kyoto bin ich nun in Hiroshima und geniesse die kühle Meerluft. Obwohl ich zwischendurch mit Migräne flach lag, geht es mir eigentlich sehr gut und ich geniesse die neue Stadt, auch wenn deren Geschichte wie ein Nebelschleier über den Dächern hängt. Man bemerkt ihn meist nicht, aber wenn doch, dann ist es sehr bedrückend.

 

Ich wurde auf meiner Reise von mehreren Personen gefragt, ob ich mich denn nicht einsam fühle, weil / wenn ich alleine herumreise. Die Antwort darauf ist nicht so einfach. Zuweilen fühle ich mich wirklich etwas verlassen, doch das nennt man wohl Heimweh. Die meiste Zeit aber sehe ich im Alleine-Reisen nur Vorteile: Ich muss selbstständiger werden, selbstverantwortlich Entscheidungen treffen und oftmals über meinen Schatten springen, ohne dass es jemand anderes für mich tut. Da ich Konflikten gerne aus dem Weg gehe, eine gute Übung. Ein weiterer Vorteil ist die Tatsache, dass man alleine viel offener auf das Umfeld reagiert und das Umfeld auf einen. Ist man dagegen in einer Gruppe unterwegs, wollen die Japaner sich auf keinen Fall einmischen, was unhöflich waere (so meine Theorie). Diese Tatsache ermöglichte mir das Erlebnis im Kyotoer Beer Garden (siehe letzter Eintrag) und viele andere erfreuliche Gespräche. 

 

So ging ich gestern alleine in ein Kaiten-Sushi (Sushi-Dreh-Restaurant), wurde von meinen Banknachbarn angesprochen und am Ende verbrachte ich fast vier Stunden mit ihnen. Wir assen Sushi, gingen zusammen anschliessend in ein kleines Käse-Bistrot, assen Käse, tranken Bier und Sake und sprachen sowohl über das Kyushu-Erdbeben im Frühling, das heisse Wetter in Hiroshima und das neuste historische Drama namens Sanada-maru, das sonntags im Fernsehen läuft. Es war eine Begegnung, die so sicher nicht stattgefunden hätte, wäre ich mit einem Reisepartner in ein Gespräch vertieft gewesen. Insofern bestätigt es meine Theorie, dass man bei Reisen alleine mehr oder weniger zwangsmässig alle Fühler ausgestreckt hat. Ein reiner Vorteil ist es aber vermutlich nicht, denn um sich über Erlebtes auszutauschen, fehlt der Partner dann wieder... Ich schaffe mir Abhilfe, indem ich Tagebuch schreibe, aber dieses beantwortet leider meine Fragen nicht (oder nicht alle zumindest :P ).

 

Übrigens sprach ich in den vier Stunden kein Wort Englisch. Dies ist ein neuer Rekord und ich bin stolz darauf, dass ich mich durchschlagen und verständlich machen konnte. Ich verstand nicht immer alles, aber zumindest konnte ich erkennen, ob ich ein entsetztes Gesicht machen, lächelnd nicken, oder fassungslos den Kopf schütteln sollte. Einmal mehr zeigt mir die Erfahrung: Eine Sprache muss nicht fehlerfrei beherrscht werden, sondern in der Kommunikation funktionieren. Der Grundsatz von Fremdsprachunterricht "Fluency before Accuracy" trifft hier wohl voll zu. Ich befürchte bloss, dass dies an der Universität dann etwas anders gewichtet wird. Nicht zwingend schlecht, aber es wird eine Herausforderung sein. Da ich Herausforderungen liebe, motiviert mich das nur umso mehr.

 

Eine weitere solche Begegnung hatte ich heute, als ich die Insel Miyajima besuchte, die für ihren im Wasser stehenden Torii-Bogen bekannt ist. Ich wartete auf den Sonnenuntergang und sah einen Typen, der im gleichen Hostel übernachtete (auffällig, weil er einen Turban trug). Wir begannen zu quatschen und schossen Fotos füreinander und tauschten Reiseerfahrungen und -tipps aus. Der Torii selbst war natürlich auch wunderschön anzuschauen und seine viel zu selten betrachtete Spiegelung im Wasser war genauso spektakulär. Weniger angenehm waren dagegen die Rehe, die auf Miyajima überall frei herumlaufen und alles fressen, was in ihre Nähe kommt. Alles! Ich ass einen Fleischspiess und musste darauf achten, dass er mir nicht gestohlen wurde. Und wie das Foto zeigt, scheint auch die hiesige Touristen-Karte ein Leckerbissen zu sein. Sie wurde restlos vertilgt o.O